Interview: Selbstheilung ist keine Wunderheilung

Interview: Selbstheilung ist keine Wunderheilung

„„Ohne Selbstheilung kann kein Pferd gesund werden.“

Ein Interview mit der Tierheilpraktikerin und Pferdeosteopathin Susan Bär.

Wenn von Selbstheilung die Rede ist, denken viele an Wundermedizin. Doch Selbstheilung ist vielmehr ein biologisches Prinzip, sagt die Therapeutin Susan Bär. Sie hat nichts mit Wundern zu tun, zumindest nicht mehr als das Leben selbst. Eines, auf das wir sehr viel mehr vertrauen sollten. Dass sich Susan Bär und „Horse Care“, also Pferdepflege, reimt, kann kein Zufall sein. Die Tierheilpraktikerin, Pferdeosteopathin und Betriebswirtin aus dem oberschwäbischen Maselheim weiß aus ihrer Praxiserfahrung, dass jedes Pferd das Potenzial hat, sich selbst gesund zu machen. Ihre Behandlungsmaxime: Es gibt kein Patentrezept und keine Allheilmittel, sondern nur das Tier mit seiner individuellen Geschichte. 

Selbstheilung klingt oft nach Wunderheilung. Zu Recht? 

Selbstheilung ist nichts Übernatürliches, sondern im Gegenteil vollkommen natürlich und sogar alltäglich. Sie ist die Fähigkeit des Körpers, Krankheitszustände zu überwinden und wieder gesund zu werden. Wir pendeln ständig zwischen Krankheit und Gesundheit. Ein Körper ist quasi 24 Stunden am Tag damit beschäftigt, sich mit hochkomplexen Abläufen gesund zu erhalten. Defekte in der Erbsubstanz werden beseitigt, Zellen erneuert, Milliarden pro Tag. Zu einer Krankheit kommt es, wenn die Selbstheilungskräfte überfordert sind. Das meiste aber regelt der Körper unserer Pferde ganz allein, ohne dass wir überhaupt etwas mitbekommen.  

Wo wird Selbstheilung sichtbar?

Bei einer Wunde zum Beispiel, die sich von allein schließt. Neues Gewebe bildet sich, das Fell wächst nach. Ein ganz alltäglicher Vorgang, der wunderbar zeigt, wie gut sich ein Körper reparieren kann. Ein anderes Beispiel sind Lahmheiten ohne klare Ursache. In solchen Fällen rate ich dazu, das Pferd für ein halbes oder ganzes Jahr auf die Weide zu stellen. Natürlich nur, wenn es keine Schmerzen hat. Ist dem so, kann man dem Pferd ruhig die Möglichkeit geben, unter natürlichen Bedingungen, nämlich in freier Bewegung, selbst  zu heilen. Das ist oft sinnvoller, als zu versuchen, es über einen langen Zeitraum in der Box ruhig zu stellen. Aus so einer Auszeit kommen Pferde immer wieder lahmfrei zurück. Was mich nicht wundert, denn in jeder Heilung steckt Selbstheilung. Ohne das Zutun des eigenen Körpers kann niemand gesund werden.

Der Held ist also die Intelligenz des Körpers, nicht mein Tierarzt?

Die Vorstellung, dass Tierärzte oder Therapeuten Pferde gesund machen, ist nicht ganz richtig. Ich sehe es eher als eine Zusammenarbeit zwischen Mensch und Tier und frage mich deshalb nach jeder Diagnose: Bei welchen Prozessen braucht dieses Pferd Unterstützung? Was fehlt ihm? Was sollte ich aber auch von ihm fernhalten, um  Heilung zu fördern? Medikamente wähle ich ebenfalls im Hinblick auf diese Zusammenarbeit aus. Das Ziel: möglichst gute Bedingungen für die körpereigenen Heilungsprozesse zu schaffen.  

Wird zu früh zu Medikamenten gegriffen? 

Das kann man natürlich pauschal nicht sagen. Doch es gibt sicher eine verbreitete Vorstellung, dass Medikamente Krankheiten wie auf Knopfdruck heilen. Ich kann diese Wunschvorstellung auch keinem Pferdebesitzer übel nehmen. Wer sein Tier liebt, will es nicht leiden sehen. Und natürlich ist Abwarten nicht immer die richtige Taktik. Manchmal muss es sogar ganz schnell gehen mit der ärztlichen Hilfe. Schmerzfreiheit hat auch bei mir immer oberste Priorität. Erst danach empfehle ich, was den Weg zur Selbstheilung ebnet. Denn jede Medizin ist letztlich Hilfe zur Selbstheilung.

Aber Selbstheilung passiert selten ganz plötzlich, oder? 

Genau. Gesund werden ist immer ein Prozess. Ein Prozess braucht Zeit, und die muss leider ausgehalten werden. Ein Problem aus meiner Sicht ist, dass oft Medikamente verschrieben werden, nur damit es dem Pferdebesitzer schnell besser geht. Doch eine Medikamentengabe ist immer ein Eingriff in den Organismus und hat nie nur die  intendierten positiven Folgen.  

Hätten Sie ein Beispiel? 

Klar. Es werden, um überhaupt etwas zu tun, Antibiotika verordnet, obwohl man weiß, dass das Pferd auch ohne gesunden würde. Antibiotika aber stören immer auch die guten Mikroorganismen im Darm, die eine sehr wichtige Rolle für die Immunabwehr spielen. Hier wird also eine Krankheit bekämpft und eventuell gleich eine nächste  verursacht. Medikamente sind in vielen Fällen notwendig und unverzichtbar, gar keine Frage. Dennoch gilt es immer wieder neu abzuwägen, ob im konkreten Fall nicht auch einfach nur Geduld und Vertrauen verordnet werden sollten. Dass das einfach ist, kann ich nicht behaupten, denn natürlich will kein Tierarzt und kein Therapeut dem Vorwurf ausgesetzt sein, nichts gemacht zu haben. 

Welche Faktoren schwächen die Selbstheilung? 

Der größte Gegenspieler der Selbstheilung: Stress. Denn Adrenalin und Cortisol blockieren unsere Abwehr- und schwächen unsere Heilungskräfte. 

Und sonst? 

Schlechte Fütterung, Nährstoffmängel, Medikamente, die Darm und Leberfunktionen schwächen. Aber auch eine nicht pferdegerechte Haltung und generell zu wenig Bewegung. Wobei natürlich umgekehrt auch zu viel Bewegung schaden kann. Beispielsweise dann, wenn ein Pferd schlecht vorbereitet in eine anspruchsvolle Turnierprüfung gehen muss oder ohne ausreichend Konditionstraining auf einen Wanderritt. Aber auch Übersäuerung und das ganz natürliche Altern beeinflussen die Selbstheilungskraft oder zumindest deren Geschwindigkeit. Das ist offensichlich: Neues Gewebe bildet sich dann langsamer. 

Und welche Faktoren stärken sie?

Grundsätzlich müssen vor allem Fütterung und Haltung eines Pferdes passen. Das gilt für ein Pferd, das gesund bleiben soll, genauso wie für eines, das gesund werden soll. Und: Gleichgewicht. Denn Gesundheit ist nichts Statisches, deshalb sollte der Körper immer darin unterstützt werden, sein Gleichgewicht zu finden. Ein ausgeglichenes Körpermilieu ist die Basis für alle gesundheitsregulierenden Prozesse.

Fütterung, Haltung, Gleichgewicht – das klingt einfach ...

Ist es aber nicht, weil so vieles Einfluss auf die Heilung nimmt. Bei größeren Verletzungen oder ansteckenden Krankheiten ist es beispielsweise oft notwendig, ein Pferd aus seiner Herde zu nehmen. Doch Pferde brauchen auch genau dann Kontakt,zumindest Sichtkontakt zu ihren Artgenossen. Ob ein Pferd sich wohl fühlt oder nicht, spielt nämlich ebenfalls eine entscheidende Rolle für seine Selbstheilung. Wir kommen also nicht umhin, jedes Mal ganz individuell zu entscheiden, was nützt und was schadet. Ein Medikament? Oder besser keins? Nicht einfach,  diese Überlegungen, aber einfach nötig. 

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